Jessis Tagebuch: Im wilden Westen

Der Regen prasselte nur so runter am Mittwochmorgen vor der Abfahrt nach Antwerpen auf unseren tiptop frisch gepflegten LKW. Bis wir alles drin hatten, waren auch wir schon ziemlich aufgeweicht. Auch während der Fahrt wurde es nicht besser, es blieb irgendwie den ganzen Tag dunkel.
Wir wohnen nicht sehr weit von der belgischen Grenze entfernt, entsprechend kurz war die Fahrt. Spezi war, glaube ich, ziemlich überrascht, als er nach zweieinhalb Stunden in Lier vom LKW runter lief, hatte er sich doch gerade häuslich eingerichtet.
Zum Abladen wurden wir eingewiesen von einem Stewart, der uns zunächst einen Parkplatz anbot, für den wir zusätzlich ein Schlauchboot gebraucht hätten, um von A nach B zu kommen. Aber wir durften umparken.
Eine Stunde später war alles an Ort und Stelle, und wir machten Spezi hübsch für den Vet-Check. Spezi hatte eine gute Box erwischt, er hatte ein helles trockenes Plätzchen, was wirklich ein Glück war, denn viele Boxen standen unter Wasser. Er war tiefenentspannt zwischen seinen neuen Nachbarn aus Schweden und Dänemark.
Witzig war, dass der schwedische Bursche ein Briar war, der von einem Züchter aus meiner Stadt Heinsberg kam. Ich sag's immer, die Welt ist ein Dorf, LOL :-)
Spaß beiseite, mittlerweile war der Sturm draußen zu einer Art Orkan ausgewachsen, und einige Pferde fanden das nicht sooo lustig. Die Zelte waren sehr laut innen, dadurch herrschte allgemeine Unruhe.
Für 18 Uhr war der Vet-Check angesetzt, und Anna und ich liefen nochmal zur Meldestelle, um uns nach den genauen Ablaufzeiten, wer wann dran war, zu erkundigen. Es gab keine, es hieß, first come, first served … ok, also Wild Wild West!
Also gingen wir um 18 Uhr los. Der Sturm tobte, und es war s…kalt.
In einem großen Zelt, wo auch Prüfungen abgehalten werden, fand der Check statt. An und für sich ein schönes Zelt. Alle waren natürlich gleichzeitig da, ca. 30 Pferde, so dass die Hälfte wieder nach draußen mussten. Decken flogen durch die Gegend, und es war unmöglich die Leute zu bewegen,  die Pferde hintereinander im Kreis zu führen. Spezi war ein wenig gereizt ...!
Endlich drinnen, wurde es nicht viel besser, es gab Hindernisse, die zur Absperrung dienten, und wir liefen gerade daran entlang, als sich ein Rapphengst losmachte und wild durch die Halle lief. Die Longe hing noch dran und flog hinterher, so dass alle anderen Pferde auch anfingen zu steigen und zu bocken. Spezi war völlig außer sich! Ich lief mit ihm in eine Ecke hinter ein Hindernis, so dass der Hengst nicht zu uns konnte. Zum Glück war meine Mom auch bei uns, und sie konnte den Hengst davon abhalten, zu Spezi rüber zu springen. Ich bin eigentlich hartgesotten, aber da schlug mir echt das Herz in der Kehle!
Endlich eingefangen, konnte es weitergehen. Ich hatte die Hände voll damit zu tun, Spezi zu beruhigen, und als wir dann endlich dran waren, trabte er natürlich, als müsste er die Lampen austreten. Geschafft, jetzt zurück in die Box und erst mal füttern.
Ab 20.30 Uhr durften wir aufs Prüfungsviereck. Spezi wieder aus der Box, angezogen und los. Die Prüfungshalle ist wirklich ein Träumchen, sehr schön hergerichtet, irgendwie festlich, und eine schöne Atmosphäre war im Raum. Ich bin Spezi eine Weile Schritt geritten, bis er endlich Schritt lief, und dann sind wir noch ein wenig locker durch die Halle galoppiert. Genug für heute und ab ins Bett.
Als Spezi dann gepflegt unter seiner Decke schlummerte, schwammen meine Mom und ich zum LKW. Es gab ein gemeinsames, sehr spätes Abendessen für alle, aber wir waren zu müde, uns noch aufzuraffen ...
Am nächsten Morgen ging es schon um acht mit unserer Prüfung los. Wir waren als achtzehntes Paar an der Reihe, also um 10.26 Uhr. Spezi war eigentlich ganz ok, ein wenig schlecht gelaunt vielleicht, aber das legte sich. Wir kamen sehr gut durch unsere Trabtour, und auch die Schrittphase war nicht schlecht.wir lagen bei 72.6%. Im Galopp war er nicht mehr so ganz so locker, aber alle Wechsel waren auf dem Punkt. Die Pirouetten wurden uns zum Verhängnis. Beide waren zwar gezeigt, aber eine zu groß, die andere zu klein. Das hat richtig Punkte gekostet, und am Ende lagen wir mit 69.9% auf Platz 9.
Autsch! Ich fühlte mich sehr hart bestraft, aber hey! -- was soll's, fürs Erste gar nicht mal so schlecht.
Mama und ich frühstückten danach ausgiebig und genossen das Prasseln des Regens auf dem LKW-Dach, denn das hat was von Gemütlichkeit irgendwie, auch kann ich dann ganz gut einschlafen. Das haben wir dann auch nach der Siegerehrung gemacht, ein schönes Nickerchen. Am späten Nachmittag, wer sagt's denn, kam die Sonne raus, und ich spazierte mit Spezi eine halbe Stunde über das Gelände.
Abends schauten wir Anna mit Henny bei der U25-Prüfung zu, und anschließend ging's mit der ganzen Truppe ins Restaurant auf der Anlage, wo man übrigens sehr gut essen kann.
Mittlerweile tobte der Regen wieder, diesmal im Wechsel mit Hagel und Schnee, und wir schwammen wieder zu unserer mobilen Wohnstätte. Geschlafen habe ich wie ein Stein. Um 5.30 Uhr ging der Wecker. Training war angesagt, wir durften bis 7.00 Uhr auf dem Prüfungsviereck trainieren, also holten wir Django aus der Box, der schon munter aus der Wäsche guckte, und fröhlich ging es los, denn Morgenstund hat Gold im Mund, gell?
Unsere Prüfung fing um 18 Uhr an, und unsere Startzeit war 18.50 Uhr. Die Halle war voll, es waren richtig viele Zuschauer anwesend, auch trafen über den Tag noch einige deutsche Reiter ein, die sich für den Grand Prix angemeldet hatten. Die Stimmung war gut, und mein kleiner Feuerstuhl war sehr motiviert.
Unsere Inter-I-Kür waren wir bisher nur einmal geritten, letztes Jahr in Mannheim, entsprechend mussten wir uns die Choreographie noch einmal einprägen, doch meine Trainerin hatte sie sich ganz gut merken können, und ich bin mit einem guten Gefühl eingeritten.
Wie aus der Pistole geschossen, trabte Spezi los, mit Schwung ging es durch die Kür, unsere Pirouetten waren ein Träumchen, es gab sogar eine 8.5 dafür, und am Ende wurde es für uns Platz zwei. Ich habe mich riesig gefreut über diesen schönen Erfolg. Um 20.15 Uhr fand die Siegerehrung statt. Spezi war anscheinend noch nicht müde, denn mit etwas übertriebenen Ehrgeiz ging er in die Ehrenrunde. Ich ritt mein Wildpferd zurück zu seiner Box, wo sein Nachtisch auf ihn wartete. Währenddessen packten wir schon, denn der Weg nach Hause war ja nicht so weit und wir konnten es, wenn wir jetzt schnell machten, schaffen, bis ca. Mitternacht zu Hause zu sein. Für Samstag standen für mich auch wieder Rever und Leo auf dem Programm, und überhaupt ist es schön, mit so einem guten Gefühl nach Hause zu kommen.
Um 00.15 Uhr angekommen, ging alles routinemäßig schnell. Als ich Spezi in seine eigene vier Wände brachte, standen alle wilden Kerle, mit denen er in den Außenboxen wohnt, mit ihren Köpfen draußen und begrüßten ihn. Die reinste Männerdomäne, fünf Hengstponys und drei Wallache formen dort die WG. So, jetzt nur noch selber nach Hause!
Ein Turnier liegt hinter uns, und das nächste kommt bestimmt ganz bald. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich sagen, ein bisschen wild war das schon!
Au Revoir, Eure Jessi :-)