Jessis Tagebuch: Nachdenklicher Advent ...

Nun ja … ich sitze hier schon eine Weile und bekomme nichts zu Papier. Mein Kopf ist leer, ich habe keine Muße, irgendwas zu schreiben über die Turniere.
Es ist so weit weg und kommt mir teilweise banal vor, mich jetzt in den Vordergrund zu schreiben, wo sich um uns herum die Ereignisse fast überschlagen. Die Flüchtlingskrise, die ja schon lange nicht mehr nur die anderen betrifft, sondern uns alle angeht. Die Terroranschläge, die Zustände allgemein.
Ich war mit einer lieben Freundin zufällig in Paris, als der Anschlag zwei Straßen von mir entfernt passierte. Ich hatte bis dahin noch nie in meinem Leben solch einen Lärm gehört. Die ganze Nacht gingen die Sirenen. Da Ausgangssperren verhängt wurden (mal abgesehen davon hätte ich sowieso keinen Schritt vor die Tür gemacht), verbrachten wir die ganze Zeit im Hotel, waren in der Nacht durchgehend wach, und am nächsten Morgen saßen wir stundenlang im Frühstücksraum, bis wir gegen Mittag abreisen durften. Während der Fahrt durch Paris und quasi bis zur Grenze hatte ich, glaube ich, einen Puls von 180. Belgien ist auch grad mal hier bei uns um die Ecke, und wenn man dann hört, dass diese Terrorzellen einfach zwischen uns wohnen … Unsere Freiheit ist in Gefahr, das ist mir zur Zeit sehr bewusst, und deshalb werde ich um so mehr an unserem Sport festhalten, denn Sport vereint die Menschen. Die Freiheit, zu einem Fußballspiel zu gehen ... Ein Auslandsturnier zu reiten … Ich möchte mich nicht einschüchtern und auch nicht verheizen lassen. Ich bleibe offen für andere Menschen und andere Kulturen, habe schon viel Freundschaft erfahren bei den Europa-Meisterschaften und überhaupt bei unseren Auslandsreisen.
Ich bin nicht naiv und werde mich hüten, über irgendetwas die Lanze zu brechen, doch Gleiches mit Gleichem vergelten macht alles nur noch schlimmer. Ich werde versuchen, das zu leben, was meine Wertvorstellung von einem guten Miteinander ist, Menschenwürde, Hilfsbereitschaft, Respekt, Toleranz.
Das ist es was mich zurzeit neben meinem Praktikum und dem täglichen Training beschäftigt. Den Pferden geht es gut, hier und da mal ein Wehwehchen. Es ist ja noch nicht so richtig kalt, und ich merke, dass die Pferde ziemlich im Fellwechsel stecken. Mitte Oktober, als wir in Le Mans waren, da gab es schon kühlere Tage. Le Mans war ein tolles Turnier, wunderschöne Boxen, mehrere schön geschmückte Hallen, toppi organisiert, sehr freundliche Mitarbeiter, tolle Preise, schöne Anfahrt, perfekter Parkplatz – also alles auf erfolgreiches Reiten abgestimmt. Rever und Spezi trugen mich in Topform mit viel Elan durch die Prüfungen zu mehreren Siegen.
Auch die von meiner Familie liebevoll organisierte Verleihung des Goldenen Reitabzeichens war ein echtes Highlight, ich war so gerührt.
Ich bin dankbar für alles, was ich dieses Jahr erleben durfte -- was mir an Gutem und an Schlechtem widerfahren ist, hat mich wieder ein Stückchen geformt.
Wir sind jetzt mitten im Advent, und ich wünsche allen eine schöne Vorweihnachtszeit.
Bitte entschuldigt, dass ich nicht ausführlicher berichte.
 
Alles Liebe, Eure Jessi

Wenn Ihr helfen wollt, hier der Link zum UN-Flüchtlingshilfswerk