Jessis Tagebuch: Vidauban

Nach Vidauban zu fahren, war schon seit letzten Sommer unser Ziel. Nachdem ich so ungefähr meinen Schulplan hatte, wann ich welche Prüfungen habe, war Vidauban das Turnier, das genau zwischen Vor-Abi und Abi passen würde. Jetzt nur noch die Erlaubnis vom Bundestrainer einholen.
Da ja Münster nicht so gut gelaufen war, hatte ich ein wenig Bedenken. Doch die darauffolgenden Turniere und auch unser Vorreiten in Langenfeld brachten uns das Vertrauen des Bundestrainers, dass wir ihn im Ausland nicht blamieren würden.
Meine bzw. unsere Vorfreude war ziemlich groß. Nachdem ich morgens noch meine Geschichts-Klausur geschrieben hatte, sind wir montags so gegen halb eins am Mittag losgefahren. Als ich am Stall ankam hatte, meine Mom bis auf die Pferde, die aber auch schon eingepackt im Stall standen, alles auf dem Lkw verstaut.
So eine Reise geht ja schon immer mehrere Tage vorher los: Mittwochs LKW von außen waschen und tanken. Donnerstags von innen putzen und die Wassertanks füllen. Freitags Hänger mit Heu und Stroh beladen und am Stall abstellen. Und Samstags Klamotten für uns und die Pferde einladen sowie den Kühlschrank vollmachen. Also von Bandage bis Ketchup alles dabei! Sonntags ein wenig vorschlafen, sofern das möglich ist.
Anna und ihre Mutter sind schon morgens früh aufgebrochen mit Johannsmann, und wir waren für den Abend in Lyon verabredet. Unsere Mütter hatten zusammen alles organisiert, und ich freute mich auf eine intensive Mütter-Töchter-Woche. Keine Fahrer und keine Pfleger, nur wir!
Bis kurz nach zehn dauerte unsere erste Strecke, und wir waren kein bisschen müde; es lief hervorragend, und die Pferde fühlten sich wohl. In Lyon gibt es eine Anlage namens “Parc du Cheval”, dort kann man mit den Pferden übernachten. Tolle Boxen, frisch eingestreut, zwei Hallen, eine schöne, gepflegte Außenanlage, eine Rennbahn, mehrere Reitplätze und ein großer LKW-Parkplatz mit Stromversorgung. Ein Rundum-sorglos-Paket, so konnten sich unsere Pferdchen nach der Ersten Etappe gut erholen. Anna hatte schon Mash gemacht für alle und wartete auf mich, um mit Spezi und Rever eine Runde spazieren zu gehen. So gegen 23.30 Uhr haben wir uns aufs Ohr gehauen in unserer LKW-Herberge, Silke, Mama, Anna und ich.
Dienstag Morgen halb sieben ging's weiter. Nach dem Füttern führten wir die fünf Kameraden Schritt, und so gegen acht rollten wir vom Hof Richtung “Route de Soleil”. Noch gute fünf Stunden Fahrt, die Sonne schien, und wir genossen die schöne Landschaft um uns herum, die langsam einen mediterranen Charakter bekam. Zum Glück wusste unser französischer Freund Christophe, wo es lang geht, denn wir hätten den Eingang zur Turnieranlage, der an einem Militärgelände entlangläuft, nie gefunden. Die Anlage, die Bernadette Brune gehört, liegt mitten im Pinienwald, sehr großzügig, doch die Zufahrt ist, naja, französisch halt :-) Ein ganz enger Feldweg, ellenlang und kurvig mit Überleitungen, die auf 4 Meter hängen, nie würde man vermuten, dass sich dort so eine traumhafte Anlage befindet.
Nachdem meine Mom ein paar Schweißausbrüche überstanden hatte, weil uns auch noch ständig Fahrzeuge entgegenkamen, waren wir auch schon da. Es ist immer eine Freude, wenn die Pferde nach so einer Tour frisch und munter vom LKW steigen. Wenn alles gut verlaufen ist, fällt einem ein Stein vom Herzen.
Jetzt konnte das Auspacken losgehen. Bis alles am Platz war, die Sattelkammer eingerichtet, die Pferde bewegt, die Boxen gemacht, Heu und Stroh gelagert, gefüttert, der LKW geparkt, die Stromanschlüsse gelegt, die Gartenmöbel vor der Tür, der Rasen verlegt (LOL), der Grill ausgepackt und alle geduscht waren, war es doch mittlerweile 20 Uhr.
Anna und ihre Mama, die etwa drei Kilometer entfernt in einer Bastide wohnten (das ist so eine Art Landidylle mit Frühstück wie vor 100 Jahren, sehr süß und romantisch), kamen am Abend zu uns, um gemeinsam erschöpft, aber zufrieden den Tag ausklingen zu lassen bei einem gemütlichen Essen und einem Weinchen für die Mütter.
Am Mittwoch Morgen kamen unsere Trainer per Flieger nach, und ich saß schon auf Spezi, als Frau Meyer-Biss eintraf. Wir hatten überlegt, Spezi schon mal vor dem Vet-Check zu reiten damit er seine überschüssige Energie loswerden konnte, weil er sonst schon mal etwas zu temperamentvoll vortrabt bei solchen Anlässen. Ziemlich entspannt verlief also der Vet-Check, beide Pferde „accepted“, es konnte losgehen!
Die Anlage ist ein Traum, top gepflegt, 10 Reitplätze mit sehr guten Böden, der Hauptplatz mit Sitztribüne ausgestattet und rundherum Wald. Alles gut zu erreichen, mittig ein Festzelt, Catering zur jeder Tageszeit. Die Boxen für die Pferde gepflegt, nirgendwo lagen Misthaufen, alles kam in Minicontainer, die jeden Tag entsorgt wurden. Eine sehr gute Organisation, alles immer pünktlich, alle sehr freundlich und hilfsbereit. Die Pferde wurden nachts top bewacht, also prädestiniert für die Austragung der Europameisterschaft.
Unsere (deutsche) Stallgasse war sehr gesellig, und wir haben uns gut verstanden mit allen Nachbarn. Zudem waren alle sehr erfolgreich, die Gasse hing voller Schleifen, entsprechend lag auch gute Stimmung in der Luft. Das Wetter war an allen Tagen wunderbar, auch wenn es trotz Sonne noch sehr frisch war und windig, war es zum Reiten optimal. Am Mittwoch Abend gegen 22 Uhr hatten wir endlich unsere Startzeiten. Rever und ich erstes Pferd. Na super! Anna mit Fürst zweites Pferd.
Dass wir nach dem zwanzigsten Pferd immer noch vorn lagen, damit hatte ich nicht gerechnet. Auch Spezi, mit dem ich drittletzte Starterin war, konnte mit einer superschönen Runde zwar gut punkten, kam aber nicht an Rever vorbei. So wurde es der Sieg mit Rever, Anna mit Lady Zweite und Spezi Dritter. Es war eine doch etwas seltsame Siegerehrung: Da Anna schon auf Henny saß für ihre nächste Prüfung, konnte sie nicht an der Siegerehrung teilnehmen, und da ich nur ein Pferd reiten kann, stand ich dort ziemlich alleine auf weiter Flur :-)
Was für ein toller Tag! Super zufrieden mit unseren Ergebnissen genossen wir gemeinsam einen schönen Abend im Festzelt.
Für Freitag war für uns keine Prüfung angesetzt. Wir wollten den Tag genießen und nach St Tropez fahren, entsprechend früh haben wir unsere Pferde trainiert. Nachdem wir unseren französischen „ami“ Christophe mit den Fütterungsanweisungen vertraut gemacht hatten und er uns vergewissert hatte, dass er nicht mehr von der Seite der Pferde weichen würde, bis wir zurück sind, konnten wir beruhigt fahren. Nur 37 km bis St. Tropez. Die Landschaft ist traumhaft, und ich hatte en totales Urlaubsfeeling. Die letzten 10 km fährt man am Meer entlang. Diese Jahreszeit gibt dem Ort einen ganz anderen Charme als in der Hochsaison. Wie ein gemütliches Fischerdorf wirkt die Stadt auf uns, im Park spielten die einheimischen Männer traditionell ”Jeux des Boules”.
Abends aßen wir in einem Fischrestaurant direkt gegenüber der Anlegeplätze der großen Yachten, die verschlafen im Hafen lagen. Im Restaurant war alles in cremeweiß, und der Fußboden bestand aus Sandstrand. Gegen 21.30 Uhr ging es zurück, und wir sagten unseren Pferdchen, die anscheinend mit der Versorgung durch Christophe äußerst zufrieden waren, “gute Nacht”.
Auch Samstag ging es entspannt weiter, da unsere Prüfung wieder für den Nachmittag angesetzt war. Diesmal zeigte Spezi, was in ihm steckt, und wir hatten die Nase vorn. Spezi macht zur Zeit wieder eine Entwicklung, durch die sich positiv auf uns auswirkt. Seine Konzentration hat sich gebessert, wobei man sagen muss, dass er sowieso lieber draußen geht als in der Halle. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Form beibehalten könnten.
Sonntag Morgen 10.30 Uhr war die Kür angesetzt. Wir entschieden uns für Rever. Sie hat eine sehr schöne Kür, und Spezis ist noch nicht ganz fertig. Es wäre ein Kompromiss gewesen, und da ich die Wahl hatte und gern wissen wollte, wie unsere Kür international ankommt, war die Entscheidung einfach.
Anna krönte die Kür mit einem Sieg mit Lady, und wir wurden stolze Dritte. Überhaupt hatten wir die ganze Mütter-Töchter-Woche über ein tolles Wir-Gefühl; wir unterstützten uns untereinander, halfen uns gegenseitig in den Sattel und freuten uns über unsere Erfolge, die wie immer nah beieinander lagen. Da wir alle Einzelkämpfer sind, ist gerade so ein Turnier schön, um Freundschaften zu pflegen.
Nach unserer Siegerehrung sind wir gemeinsam zum Viereck und haben Anna mit Henny die Daumen gedrückt. Meine Trainerin verabschiedete sich gegen Mittag, da sie ihren Flug erwischen musste, und ich bedankte mich für die großartige Zusammenarbeit, die uns mittlerweile schon so viele Jahre verbindet. Wir wären so gerne geblieben und hätten das zweite Turnierwochenende in Vidauban auch noch mitgenommen, wenn man schon mal da ist … Doch meine Schulpflicht und Annas Uni ... und ein bisschen Heimweh war auch dabei.
Also wieder alles einpacken! Um 16.30 Uhr losgekommen in Richtung Lyon und um 22.30 Uhr abgeladen, Pferde geführt und ab ins Bett. Wir waren sooo platt.
Ein sehr langer Tag und eine super ereignisreiche Woche lag hinter mir. Morgen noch den Rest der Strecke … Ich bin in den totalen Tiefschlaf gefallen und musste dreimal geweckt werden Aufgebrochen in Richtung Heimat sind wir wieder so gegen acht Uhr, und ich schlief bis zur ersten Rast weiter. Die Fahrt verlief Gott sei Dank wieder genau so unkompliziert wie auf den Hinweg. Wir hatten keine Staus, und das Wetter war prima. Spezi und Rever sind mittlerweile diese langen Reisen gewohnt, man merkt es ihnen an, sie sind entspannt und mampfen schön ihr Heu. Zwischendurch klettere ich schon mal bei den beiden herum und verwöhne sie mit Äpfeln oder decke sie um oder ab. Wir schauen immer, dass sie dahinten eine gute Temperatur haben und eine vernünftige Belüftung.
Um 17.50 Ankunft im Stall. Große Freude bei den Pferden, wieder zu Hause zu sein. Mit ein paar helfenden Händen hatten wir ruckzuck alles ausgepackt. Als die beiden glücklich in ihren Boxen standen nach einem ausgiebigen Spaziergang und mehrfachem Wälzen und wir uns vergewissert hatten, dass es ihnen wirklich gut geht, sind auch wir nach Hause gedüst.
Nach ein paar SMS mit Anna, bei der auch alles in Butter war, bin ich unter die Dusche und ab ins Bettchen, denn Dienstag war Schule angesagt, und dort interessiert es nicht die Bohne, was ich geschafft habe, sondern da habe ich nur “schon wieder” mal gefehlt (LOL).


Mit ganz lieben Grüßen und mit einem bisschen Stolz auf Rever und Spezi ...
Eure Jessi