Jessis Tagebuch: Nach der EM ist ... bei der EM (Folge 2)

Da Spezi die lange Reise erst mal verpacken musste, war es ganz gut, dass wir erst am Donnerstag dran waren. Die ersten Reiter, sprich Jule mit Comtessa und Ellen mit Fontane, ritten am Mittwoch zwei sehr schöne Runden, die uns in Führung brachten. So auch bei den Jungen Reitern, die mit Lisa-Marie einen echten Shooting Star am Start hatten. Jetzt konnten wir mit einem gutem Polster an den nächsten Tag glauben.
So schlapp wie Spezi am Mittwoch war, so heiß war er am Donnerstag. Typisch!
Toll abgeritten, wunderbar eingeritten, ich wollte schön stehen bleiben und grüßen, er wollte ohne Gruß weitermachen und stehen schon gar nicht!Ich bin nicht drauf eingegangen und ruhig geblieben, habe mir vorgenommen, nicht über den Fehler nachzudenken und schön bei der Sache zu bleiben, und nach und nach konnte ich Spezi in rechte Licht rücken.
Wir bekamen noch schöne Noten, und damit war das Team weiter auf Medaillenkurs. Das Wichtigste bei einer EM ist, dass man für die Mannschaft alles gibt (nur steckt man leider nicht immer drin). Dann kamen Anna und Fürsti und übernahmen den Laden. Haushoch gewannen sie die Prüfung und sicherten sich und uns damit das ersehnte Gold!
Dann noch erneut Gold für die Jungen Reiter – wir kamen aus dem Jubeln nicht mehr raus! Emotionen, heulende, lachende, strahlende Gesichter, es ist so was von schön, dabei zu sein in so einem Moment, nach dem Motto „an Tagen wie diesem“. Am Abend war die Mannschaftsehrung und wir wurden toll gewürdigt. Dies geschah ohne Pferd, was sehr vernünftig ist, weil bei der Mannschafts-Preisverleihung einfach zu viele Pferde in der Arena sind und bei dem ganzen Brimborium schnell was passieren kann.
Es gab aber Schärpen für die Pferde, die wir nach Pressekonferenz und Fototermin den Pferden sofort gebracht haben. Wir holten unsere Süßen aus den Boxen, hängten ihnen ihre wohlverdienten Schleifen ans Halfter und die Schärpen über die Brust und machten inklusive schwarz-rot-goldenen Hufglocken eine Fotosession. Dann wurde gefeiert, so richtig bis in den Morgenstunden, denn Freitag hatten wir alle frei. Es wurde gesungen und getanzt, und wir stellten fest, dass es sowas schon länger nicht mehr gegeben hatte -- Gold für beide Teams.
Es war der Tag der Ausflüge am Freitag. Wir Reiter sind nach unseren Trainingseinheiten in die Badeklamotten gesprungen und haben den Nachmittag am Pool verbracht. Ehrlich gesagt bin ich zwischendurch (mal wieder) ziemlich eingeschlafen, was mir dann einen kleinen Sonnenbrand am Allerwertesten eingebracht hat.
Meine Eltern sind nach Siena gefahren und waren total begeistert. Sie hatten das Glück, dass am dem Tag auf der Piazza il Punto ein Konzert stattfand und am Nachmittag der Probelauf war. Abends gab es eine offizielle Einladung vom Veranstalter, für die Eltern Dinner und für uns Pizza Party. Danach haben wir den Abend in der Burg ausklingen lassen, dort fühlten wir uns alle heimisch, und um diese Gemütlichkeit wurden wir regelrecht beneidet von den anderen Nationen, die dann auch regelmäßig vorbeikamen, um sich ein Bild zu machen von unserer WG :-)
Samstagmorgen, ziemlich zeitig und mit ziemlich viel Wind nach ziemlich viel Regen war dann unsere Einzelaufgabe. Ich war sehr zuversichtlich an dem Morgen, weil es vom Klima her für Spezi ganz gut war, und wir fühlten uns auch gut an. Wir waren entspannt, und Spezi war hoch konzentriert. Die Bedingungen fürs Abreiten waren optimal. Ich bin dann mit Spezi rüber geritten in die Arena, dort eingeritten merkte ich, dass bei Spezi die Anspannung größer wurde. Ich bin dann nochmal ums Viereck geritten, hätte eigentlich noch Zeit gehabt, beschloss aber einzureiten. Bis zum Halten und Grüßen war es noch ganz gut, doch dann platzte es mal kurz aus Spezi raus – wieder wollte er nicht stehen bleiben und auch nicht korrekt antraben, ach du heilige Sch€!$e, dachte ich mir. Ich brachte ihn aber sofort auf Kurs, und es wurde noch eine schöne Trabtour, auch das Rückwärtsrichten ging prima, den Schritt konnte ich positiv beeinflussen, und dann im Galopp wars richtig toll, so dass ich noch knapp unter 72% landete … wusste aber, dass das viel zu wenig war, um in die Kür zu kommen. Das Einreiten und Halten und dann ordentlich Anreiten sind die halbe Miete, da haben wir einige Prozente verloren, da ist man ruckzuck bei 50%, und dann muss man aus dem Loch wieder raus! Ich war perplex im ersten Moment,weil ich nicht davon ausgegangen war, dass Spezi wieder so reagiert, aber es war nun mal passiert, und wir haben das Beste draus gemacht.
Frau Meyer-Biss kam zu mir und sagte: “Stark geritten!“ Das hat mir sehr viel bedeutet und hat mir die Enttäuschung genommen in dem Moment. Später hatte ich ein Gespräch mit unserem Bundestrainer, und auch er hatte für mich nur lobende Worte. Olli auch! Im Stall angekommen haben wir Spezi schön gewaschen und gepflegt und ihm eine kleine Obstplatte gemacht ...  und das wars für uns, denn ich konnte ja ziemlich sicher davon ausgehen, dass wir nicht mehr in der Kür sind.
Bei uns starken Nationen ist man mit 72% nicht in der Kür, weil es eine Frage der Tagesform ist und ja nur die besten drei aus einem Team ins Finale kommen, damit muss jeder rechnen. Klar wäre ich sie gerne geritten, weil meine neue Kür mit der Coldplay-Musik richtig schön ist, doch ich habe mich entspannt und mich auf die Küren meiner Teamkameraden gefreut. Für uns alle eine schöne und emotionale Geschichte war, dass Anna dreimal Gold holte und auch die Jungen Reiter sich noch Silber und Bronze geschnappt haben. Wieder wurde gefeiert, und der Abend war besonders berührend, denn unser Bundestrainer hielt eine so schöne Rede, dass wir uns alle an den Händen nahmen, um diese schönen Momente mit unserem tollen Team die zu vergessen. Der Sonntag war dann der Tag der Kür und der späten Abreise. Wir bauten unsere Burg ab und packten ein, was nicht mehr gebraucht wurde. Zwischendurch rannten wir zum Viereck, wenn einer von uns dran war. Es blieb auch Sonntag richtig spannend, denn die Punkte waren nicht vorhersehbar.
Gegen 19 Uhr war dann alles gelaufen, und wir fingen an, die Pferde zu verladen (Fontane wieder in sein Cabrio), und die Karawane setzte sich wieder Richtung Heimat in Bewegung. Mittlerweile auf der Autobahn in Richtung Mailand folgte auf die EM- die WM-Stimmung, denn Deutschland spielte im Endspiel gegen Argentinien, und wir schauten übers Notebook fern. Wir haben im LKW mitgefiebert und unsere Karawane unterwegs auf den Laufenden gehalten über den Spielstand. Zwischendurch fiel unser Empfang aus und, ich legte eine Standleitung nach Heinsberg, wo wir von Kelvin auf den Laufenden gehalten wurden. Als wir uns dann mitten auf den Brenner-Pass befanden, fiel dann die Entscheidung, und wir sangen unsere Müdigkeit weg.
Überhaupt hat meine Mom hinter dem Lenkrad nicht eine Minute schlapp gemacht, denn sie hatte auf Anraten von Caro das erste Mal in ihrem Leben das Getränk zu sich genommen, das bekanntlich Flügel verleiht, und noch einen doppelten Espresso obendrauf. Sogar als wir morgens um fünf in München eintrudelten, war sie noch „voll drauf“ … klar, dass sie nicht schlafen konnte!
Wir ruhten uns aus, und unser Doc kontrollierte ein letztes Mal unsere Pferde. Von dort ging es dann für die meisten von uns individuell nach Hause. Für den harten Kern rückten wir um 13 Uhr noch mal den Grill raus und machten noch ein nettes Abschieds-Reste Essen draus. Gegen drei rollten wir dann endgültig in Richtung Heimat.
Als wir Spezi im Stall in sein Bettchen brachten, war seine ganze Box geschmückt, und es gab einen Riesenkorb mit Äpfelchen und Möhren. Ganz stolz blickte er aus seiner Box und genoss sichtlich die Aufmerksamkeit. Wir blieben noch ein Weilchen, bis wir sicher waren, dass es Spezi gut ging, und als Frau Braun uns nachwinkte, wusste ich, Spezi ist in den besten Händen, denn so wie ich sie kenne, würde sie bestimmt noch mindestens 5mal in der Nacht nach ihm schauen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist.
Zuhause angekommen, war auch unser Haus beflaggt und alles war schwarz-rot-gold geschmückt. Ich fühlte mich richtig geehrt … oder war es doch wegen unserer Fußballjungs? Ich werde es wohl nie erfahren :-)
Man sagt immer, man ist erst bei der Euro dabei, wenn man zurück ist, und das ist wirklich so, denn es kommt immer irgendwas anders als geplant. Alles ist gut gegangen, wir haben das Gold wieder nach Deutschland geholt, und die Stimmung untereinander war unvergesslich. Es war MEGA, SUPI, GIGA, TOLL!
DANKE, DANKE, DANKE, Mama und Papa und Kelvin, meiner Trainerin und allen, die mich auf irgendeine Art und Weise unterstützen, vom Hufschmied bis zum Ostheopathen etc... DANKE für diese EUROPAMEISTERSCHAFT 2014!
Alles Liebe, Eure Jessica