Jessis Tagebuch: La dolce vita en Arezzo! (Folge 1)

Obwohl ich eigentlich schon ein Routinier bin, war ich so aufgeregt und habe mich gefreut wie ein Schneekönig, dass ich wieder zur Euro fahren durfte. Teil dieses Teams sein zu dürfen, heißt natürlich auch Verantwortung übernehmen. Jetzt darf bloß nichts mehr schiefgehen, Spezi muss fit bleiben etc.
Zum Vorbereitungslehrgang in Warendorf sind wir bei schönstem Wetter angekommen und wurden aufs Herzlichste begrüßt. Nach Zeiteinteilung, Einkleidung, Pressetermin etc ging's mit dem Training los. Gemeinsam gingen wir zur Sportpsychologin, bekamen Team-Coaching und Massagen, also das ganze Paket. Abends das erste gemütliche Beisammensein im Il Cavallino, und wir wurden angesteckt von der Euphorie der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft :-)
Dann haben wir uns untereinander beschenkt, Shirts, Kleidchen,Taschen, Decken, Schabracken, Stühle, Hüte, Hufglocken,Tücher, Flipflops, es war wie Weihnachten – jetzt waren wir nicht nur von unseren Trainern perfekt vorbereitet, sondern wir waren auch perfekt ausgestattet. Selten waren wir so schön und einheitlich gekleidet unterwegs. Ein großes Danke an alle Sponsoren nochmal an dieser Stelle!
Auch unsere Reservereiter trugen zur tollen Stimmung im Trainingslager bei, und als wir abends erneut zusammen beim Abendessen saßen, beschlossen wir, es den Fußballern gleich zu tun und uns nicht zu blamieren in Arezzo!
Tag der Abreise. Nochmals Vetcheck, nochmal alle Papiere kontrolliert, alles prima, Zeit zum Verladen. Als dann AWG (Alles Was Geht) verstaut war, Heu, Stroh, Schubkarren, Mistgabeln, Equipment für acht Pferde und Medikamente für alle Eventualitäten, konnten unsere Pferde einsteigen.
Klingt wie ein Kinderspiel, doch Fontane von Ellen hatte keine Lust, Warendorf zu verlassen, und schon gar nicht in einer fremden Kutsche. Es wurde eine Herausforderung. Fontane blieb stur und verlangte sein eigenes Gefährt, nach langem Hin und Her wurde seinem Wunsch stattgegeben, und er wurde kurzerhand hinter unserem LKW angehängt. Selbstbewusst stieg er ein, also geht doch :-)
Die Fahrt nach München verlief (aber auch nur fast) ohne Komplikationen … bis auf die Rampe am LKW von Kienbaum, die sich selbständig gelöst hatte, was aber sofort bemerkt wurde, so dass dann auch Schlimmeres verhindert werden konnte … und der LKW von Rothenbergers irgendwelche Probleme machte und unterwegs mal kurz eine Servicewerkstatt anfahren musste. Und auch abgesehen von der Panikattacke unserer Pferdepflegerin, die feststellte das ihr Handy so gut wie tot war, also null Empfang. Dazu muss man wissen, dass es tatsächlich so ähnlich ist wie Sterben, wenn man nicht erreichbar ist. Es kann nämlich sein, das einem die Leute, wenn man sich über mehrere Stunden nicht meldet, eventuell fahrlässige Freundschaft vorwerfen, Ignoranz, Desinteresse, man hat nicht ge-liked, was der andere macht, das kann einen wirklich die Freundschaft kosten :-)
Meine Mum meinte, dass es durchaus von Vorteil sein kann, ein MOK zu sein (Mensch ohne Kontakte, Redewendung von Steffi) und es einem die Gelegenheit bietet, sich zu unterhalten, es einem sogar Freizeit verschafft. Wir glauben aber, dass sie das ironisch gemeint hat, deshalb haben wir das Internet befragt und es hat tatsächlich einen Handy-Shop bzw. den richtigen Netzanbieter fünf Minuten vom Olympia-Stadion entfernt für uns gefunden, und nachdem wir ihr versichert hatten, dass wir es tagsüber locker schaffen, dort mal eben hin zu düsen, war unsere Maus wieder glücklich und voller Lebensfreude und hat dann brav geschlafen bis München. Die erste nächtliche Pause habe ich wohl verpennt, denn auch ich habe bis München durchgeschlafen, also 'ne ruhige Nachtfahrt.
Angekommen in München ging alles ratzfatz. Fontane vom Hänger, schnell den Hänger ab, Rampe auf, Spezi raus, Schritt geführt, Mash gemacht, ab in die schöne frische geräumige Box. Nachdem der Doc sein OK gegeben hatte, das es allen Pferden gut geht, haben wir selbst in Ruhe gefrühstückt, und als dann Ladenöffnungszeit war, sind wir losgezogen, um besagten Netzanbieter aufzusuchen, und Mama ging ab ins Bettchen. Heraus kam, dass die Mitarbeiter eine Tarifänderung nicht wie gewünscht durchgeführt sondern stattdessen die Rufnummner gesperrt hatten. Eine Stunde später war sie wieder erreichbar und wir sooo erleichtert.
Nachmittags, als alle wieder fit waren, sind einige von uns Schritt geritten, und andere haben longiert oder geführt. Abgesprochen war, dass wir so gegen halb zehn abends wieder weiterfahren. Den Pferden ging es prima und die Pferdeabteile in den LKWs waren frisch hergerichtet. Spezis haben wir mit schönem nassen Heu bestückt, damit er auch schön was zum Knabbern hatte unterwegs.
Als die Kolonne sich wieder in Bewegung setzte, fühlte ich mich wie ein Zirkuskind. Wir reisten über Österreich nach Arezzo an den schönen Skigebieten vorbei (sehen im Winter ganz anders aus), an Fritzens vorbei (dort ist die schöne Anlage von Swarowski und eins der schönsten Turniere) Richtung Brenner Pass. An der Grenze nach Österreich mussten alle anhalten und eine sogenannte Box kaufen, die dann ein Durchfahrguthaben (Maut) gespeichert hat und die man an die Frontscheibe klebt. Während der Fahrt bucht sie automatisch runter, wenn man einen Maut-Kontrollpunkt passiert, und diese Box ist dann wieder aufladbar für die nächste Tour. Bestimmt wird das Ganze von der Länge und dem Gewicht des Fahrzeugs und von der Schadstoffklasse. Also bei 12 Metern und 26 Tonnen nicht unbedingt ein Schnäppchen :-)
Auf dem Brennerpass waren dann die Straßen nicht grad vom Feinsten, so das meine Mutter doch etwas in Sorge war, wie das wohl da hinten im Cabrio für Fontane war. Doch der Bursche ist hart im Nehmen und Familie Richter ist die ganze Strecke hinter uns gefahren, um Fontane zu beobachten, und während der Fahrpausen bekam er dann auch liebevollen Zuspruch und Durchhalteparolen ins Ohr geflüstert.
Wir fuhren in der Nacht an Bozen, am Gardasee, an Mailand und Pisa vorbei, aber auch das weiß  ich  leider nur vom Hörensagen, da ich die ganze Fahrt verpennt habe. Morgenstund hat Gold im Mund, und entsprechend früh trafen wir in Arezzo ein. Auf den letzten Metern haben wir uns dann noch kurz verfahren. Das kam daher, dass die Mautstation Probleme hatte, die Kreditkarten einzulesen, und jeder einzelne von uns ein halbes Kartenspiel durch den Automaten schob, bis eine funktionierte. Dadurch verloren wir uns aus den Augen, doch der Doc wusste Bescheid und bugsierte uns geschwind auf den Platz.
Wir waren die ersten, mit den Finnen. Alles war noch frei. Wir bekamen tolle Boxen, die unsere offiziellen Pfleger schon wunderbar für uns hergerichtet hatten. Spezi freute sich richtig über sein Strohbett und warf sich erst mal mit voller Wucht hinein. Nachdem wir alles Equipment an Ort und Stelle hatten und unser Doc erneut das OK gab, dass alle die Fahrt gut überstanden hatten, machten wir uns an den Bau der Burg. Wir hatten die besten  Stellplätze, vis a vis von unseren Pferden. Es wurde eifrig rangiert und millimetergenau positioniert, so dass die Burg nach allen Seiten geschlossen war. Es wurde geschmückt, bis alles Schwarz-Rot-Gold war, und wir haben einen Fahnenmast gesetzt. Wenn schon, denn schon :-)
Hunderte Meter Stromkabel  verlegt, Adapter im Baumarkt besorgt, Wasserschläuche gelegt und ein Kneippbecken hergerichtet. Tische, Stühle, Zeltgarnituren, Pavillons und Schirme aufgestellt und „Kunstrasen“ verlegt … alsoTeppiche, die aussehen wie Gras. Unser Eltern haben sich gegenseitig mit Sprüchen aufgezogen wie „du solltest mal deinen Rasen düngen oder bewässern, der sieht so mitgenommen aus“ oder „spielen wir nachher eine Runde Golf?“. Auch über das Hegen und Pflegen der LKWs werden immer Witze gemacht wie „kannst du bitte morgen nicht so früh staubsaugen; wir wollen ausschlafen“ oder „schade, dass es regnet, wollte eigentlich heute die Fenster mal gründlich putzen“.
Als wir uns dann häuslich niedergelassen hatten und niemand mehr daran zweifeln konnte, wo wir herkommen, wurde auch schon der erste Grill angeworfen, und es gab die erste Grundversorgung für alle. Später sind wir über die Anlage Schritt geritten, und ich habe mit Spezi bei Herrn Meyer-zu Strohen ein leichtes Training absolviert.
Wir als Team sind immer im Hotel untergebracht, gemeinsam mit unserer Equipechefin, unseren Trainern und dem Team-Tierarzt. Diesmal hatten wir Glück denn unser schönes Hotel (MIT POOL) lag 600 Meter vom Platz entfernt, und wir konnten mit Rad und Roller hin und her. Die Junis schliefen in einem Viererzimmer, was klar von Vorteil ist für die Teambildung, aber auch total lustig! Die Yongis in einem Dreierzimmer und Sönke alleine … er kann ja auch nichts dafür, dass er keine langen Haare hat :-)
Herr Meyer-zu Strohen, Oliver Oelrich und unsere Equipechefin Maria Schierhölter-Otte (genannt MSO) waren einen Tag vor uns angereist, um falls notwendig eventuelle Probleme zu klären. Im Hotel wusste man aber nichts von ihnen, und ausgerechnet für sie gab es nur noch ein Zimmer. Nun denn! Draußen schlafen  am Pool wäre auch gegangen bei den Temperaturen. Doch unsere Funktionäre haben ein altes Pfadfinderherz und sind kurz entschlossen für DIE EINE NACHT gemeinsam in ein Zimmer gezogen. Maria behauptete nur, es hätte „so gut wie keine Ausfälle gegeben“ … was immer das heißen mag :-)
So oder so ähnlich verliefen die ersten Tage in Arezzo, es wurde fleißig trainiert bei sehr warmen Temperaturen und abends ordentlich gespeist; es wurde viel gelacht, und wir genossen die gemeinsame Zeit. Unser Pferdchen brauchten genau wie wir die Zeit, um sich zu akklimatisieren, und wir hatten ständig Kühlgamaschen und kalte Umschläge bereit stehen, um den Pferden sofort nach getaner Arbeit eine Wellness- und Erfrischungskur zu verpassen.
Dienstagabend um 18.30 war die Eröffnungsfeier angesetzt. Wir putzten uns fein raus; mit Adler auf der Brust und bestückt mit Fahnen gingen wir zum Aufmarsch der Nationen ins Stadion. Es war eine schöne Veranstaltung, und nach der Eröffnungsrede und der offiziellen Feier verbrachten wir einen geselligen Abend in der Burg, wobei wir alle früh schlafen gingen weil wir ja schließlich nicht nur zum Vergnügen da waren!


(Fortsetzung folgt)