Jessis Tagebuch: Entspannt am Rand ... von wegen!

So als Außenseiter oder Zuschauer am Rande ist man ziemlich entspannt. Dachte ich – ich war so aufgeregt, als müsste ich selbst reiten.
Als alle deutschen Reiter schon mit Mannschaftsgold behangen waren, bin ich Freitagmorgen in Nizza angekommen. Anna, die wie alle anderen auch an dem Tag keine Prüfung hatte und aufgrund der Hitze schon morgens – gefühlt “mitten in der Nacht – trainiert hatte, holte mich mit Heiner vom Flughafen ab.
Sie hatten extra ein Schild gebastelt, auf dem “Miss Krieg Germany” stand :-) Nach einem herzlichen Empfang mit dickem Drücker schnatterte Anna drauflos, bis wir in Vidauban ankamen. Dort lagen alle im Chill-Modus und bewegten sich nur, um das äußerste zu erledigen; es war über 45 Grad! Wie gut, dass ich keine Ü-Eier mitgebracht hatte, die wären schock-geschmolzen.
Mein Schlafplatz musste geklärt werden. Eigentlich sollte ich bei Vivi im LKW übernachten, doch da hatte sich ihr Brüderchen niedergelassen, und da die Mädels sowieso gemeinsam im Hotel schliefen, habe ich dann Anna Bett bekommen.
Wenn man zum ”Domaine Equestre des Grand Pins” gelangen möchte, sollte man sich ein wenig auskennen. Das Gelände liegt mitten in einem Wald, wie der Name schon sagt – des Grand Pins der großen Pinien/Kiefern. Man fährt über einen langen, sehr langen kurvigen Feldweg, der an einem Militärgelände (Hubschrauber-Flugschule) vorbei führt, und dann irgendwann steht man vor der Anlage. Die Hubschrauber fliegen den ganzen Tag wie die Fliegen über die Reitplätze. Ein Pferd, das dort gestartet ist, dürfe in Zukunft keine Probleme mehr haben mit Flugobjekten jeglicher Art :-) Vorne angekommen, sind große betonierte Flächen, wo man die Pferde auf- und abladen kann. Dahinter befinden sich sofort die Stallungen, die gut belüftet sind. Die Wege sind also kurz. Dahinter geht es dann los mit dem Reitstadion und so ungefähr 10 weiteren Reitplätzen, die nach großartigen Pferden benannt sind, z.B. Jappeloup (ein kleines Springpferd mit Riesen-Springvermögen, Olympiasieger in den Achtzigern) oder Totilas. Das Ganze ist wirklich sehr großzügig angelegt.
Von den Stallungen aus verläuft nach links ein gebogener Weg ca. 200 Meter lang zum LKW- bzw. Campingplatz, der und rundherum von Pinien umgeben ist. Die Grillen zirpen dauernd, es riecht nach Provence, Urlaubsfeeling pur! Auch die Route de Soleil, so heißt die Autobahn dort unten, ist umgeben von Weinbergen und Lavendelfeldern, sooo schön.
Aber wo waren wir … Mannschaftsgold. Das hat vielleicht Nerven gekostet.
Wie Ihr aus den Starterlisten wisst, läuft die Prüfung über zwei Tage. Am ersten Tag gehen zwei Reiterpaare pro Nation an den Start, am nächsten Tag dann die beiden anderen Paare. Der letzte Starter ist oftmals der Trumpf einer Nation. Bei den Deutschen ist das aber ein bisschen schwieriger, weil fast alle gleich gut sind (tja, ist halt so, pff Eigenlob).
Deshalb war es so, dass unsere Nation am ersten Tag in Führung ging. Die dritte Niederländerin erritt dann knapp mehr Punkte als unsere Dritte Starterin Anna, aber das machte noch nichts. Dann kam die vierte Niederländerin, meine liebe Bekannte Dana van Lierop, die immer für eine Überraschung gut ist, und ritt eine so saustarke Runde, dass sie die Niederlande in deutliche Führung brachte.
Jetzt lag es an Bianca, das Ding zu reißen.
Nervenaufreibende Minuten vergingen, es war mucksmäuschenstill; als der Trend am Ende des Rittes die Punkte anzeigte, sah es so aus als hätten die Niederlande Gold. Es fing an zu rumoren, und der Platz war ziemlich orange! Dann kamen die Fußnoten ... es reichte … GOOOOOOOOOOLD für Germanien!
Das war GANZ GROSSES KINO! So viel ich erfahren habe wurde, ausgiebig gefeiert, denn die Junioren hatten ihren haushohen Sieg ja schon am Vormittag. Am Freitag Abend hatte Bernadette Brune, die Besitzerin der Anlage und Organisatorin der EM, zu einer “Blanc de Blanc“-Party eingeladen. Wenn ich auch sonst nur kurze Hosen im Gepäck mitschleppte, hatte ich aber ein kleines Weißes vorsorglich eingepackt! Viel zurecht machen braucht man sich ja nicht bei der Hitze, denn es läuft einem den ganzen Tag die Brühe runter. Anfangs war es ein wenig langweilig, es dauert immer, bis die Leute aufeinander zugehen, man kennt sich ja schließlich hauptsächlich mit Helm und muss echt manchmal dreimal gucken, wer da vor einem steht. Wir saßen an einem großen Tisch für ca. 30 Personen. Es gab Dinner, und zwischen den Gängen lieferten sich die Nationen Entertainment-Einlagen. Unsere Mädels haben berühmte Sportler nachgemacht, und ich machte dazu den DJ. Dann sollten die Equipechefs eine Dressuraufgabe zu Fuß aufs Parkett legen, und Maria lief einen Kurz-Grand-Prix mit sehr guten Traversalen, nur der Mitteltrab ließ zu wünschen übrig (LOL). Es wurde dann doch richtig gesellig, aber wir sind nicht so lange geblieben. Einige mussten ja auch schon wieder sehr früh auf Pferd, und wir sind ja nicht zum feiern da, gell?
Mittlerweile war es etwas abgekühlt, und es wehte eine leichte Brise. Ich stellte fest, dass wir Vollmond hatten, dazu noch unzählige Sterne! Sowas sieht man nicht so oft, weil meistens der Mond und auch unnatürliche Stadtlichter das Leuchten der Sterne wegnehmen. Aber so mitten im Wald sieht der Himmel anders aus. Und dann gabs noch Unmengen an Glühwürmchen, total schön, ich habe bestens geschlafen. Anna ist bei mir geblieben und nicht ins Hotel, aber das bleibt unter uns :-)
Samstag ging der Einzelwettkampf los. Es waren ja schließlich einige Einzelmedaillen drin bei beiden Teams. Komplett in Schwarz-Rot-Gold mit Maskottchen auf dem Buckel haben wir alle unsere Reiter angefeuert. Als dann unsere Newcomerin Hannah zu Gold ritt, haben wir uns so gefreut, und traditionsbewusst wie wir sind, haben wir sie natürlich mit Wasser übergossen. Die Junioren räumten das komplette Edelmetall ab! Silber ging an Semmie und Bronze an Paulina, unglaublich toll.
Jetzt war Verschnaufpause, wir chillten in der Burg, und später am Nachmittag wurden die Pferde der Jungen Reiter fein herausgebracht. Bei den Jungen Reitern gab es auch wieder knappe Entscheidungen. Gold ging an Dana van Lierop nach Limburg/NL, und Vize-Europameisterin wurde Bianca, also wieder mehrere Gründe zum Feiern! Für den Abend war gemeinsames Grillen geplant, und überal wurde fleißig geschnibbelt und zusammen getragen. Zum Grillmeister wurde Vivis Papa gekört, und so ging ein toller und erfolgreicher Tag zu Ende mit einem Sehr Sehr zufriedenen Bundestrainer, einem stolzen Co-Trainer, einer glücklichen Equipechefin und einem zufriedenen, ausgeglichenen Doc!
Sonntag herrschte schon Aufbruchstimmung; die ersten LKWs rollten vom Platz. Das bringt viel Unruhe in den Stall und verursacht so eine Art “Kater-Stimmung”. Das ist weniger schön, wenn noch einige Höchstleistungen bringen wollen. Zumindest empfinde ich das immer so … naja es ist halt so.
Alle haben wieder ihr Bestes gegeben, und es regnete auch am Sonntag noch mal Medaillen. Einige Pferde waren doch ziemlich müde, gaben aber trotzdem alles, und am Ende konnten alle sehr glücklich und zufrieden sein mit den erbrachten Leistungen.
Dann ging alles ruck-zuck, packen und ab zum Flughafen. Mein Flug ging um 17.10 Uhr. Elke Schmitz-Heinen, die Trainerin und Besitzerin von Paulina Holzknechts Pferd, nahm mich mit zum Flughafen. Gemeinsam mit Pony-Conny (Trainerin von Claire Averkorn und Pony-Bundestrainerin) und Olli Oelrich (Co Bundestrainer) düsten wir gemütlich Richtung Nizza. Gegen 20 Uhr stand ich zu Hause vor der Tür, so schnell geht das!
Ich fand es richtig schön, dass ich dabei sein durfte. Ich habe mich für alle sehr über diese erfolgreiche Euro gefreut.
Ich möchte mich dann auch ganz herzlich für die Gastfreundschaft bei Familie Abbelen bedanken. Auch möchte ich ein großes Lob an Bernadette Brune richten, die mit ihrem Team und mit viel Liebe zum Detail großartige Arbeit geleistet hat!
Und den ganzen Medaillenträgern habe ich persönlich einen dicken Drücker verpasst.


Lieben Gruß, Eure Jessica